Prof. Dr. Carsten Sinner
Universität Leipzig
Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie
Iberoromanische Sprach- und Übersetzungswissenschaft
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Carsten Sinner: El castellano de Cataluña. Estudio empírico de aspectos léxicos, morfosintácticos, pragmáticos y metalingüísticos. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 2004. (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie ; 320); 727 + XVI pp. ISBN 3-484-52320-4. Buch bestellen

English abstract

Aufbauend auf den Konzepten Frequenz und Akzeptabilität werden syntaktische, morphologische, lexikalische und pragmatische Besonderheiten des in Katalonien gesprochenen Spanisch an Hand von Sprecherbefragungen ­ durchgeführt in Barcelona und Madrid ­ untersucht, um auf diese Weise Tendenzen der Herausbildung regionaler Normen zu ermitteln und Aussagen über Integration und Verbreitung der untersuchten Elemente zu ermöglichen. Um dabei den Nachweis zu erbringen, daß die in deskriptiven und präskriptiven spanischen Grammatiken, Wörterbüchern sowie in Arbeiten zur Dialektologie und Phonetik als katalanische Interferenzen oder Normverstoß klassifizierten (oder überhaupt nicht berücksichtigten) Elemente nicht zwangsläufig auf niedrige Bildung oder geringe Kastilischkompetenz zurückzuführen sind, werden ausschließlich gebildete Informanten mit sprachlich ausgerichteten Berufsbildern befragt.

Zusammenfassung der Arbeit

Das Kastilische von Katalonien. Qualitative und quantitative Aspekte

Einführung

Bis vor wenigen Jahren wurde das Kastilische der zweisprachigen spanischen Region Katalonien kaum mehr als in Arbeiten zum Katalanischen oder in Wörterbüchern sprachlicher Schwierigkeiten oder typischer Fehler des Kastilischen behandelt. Viele der Besonderheiten, die aus dem langwährenden Sprachkontakt des Katalanischen mit dem Kastilischen resultieren, werden jedoch schon seit Generationen von einsprachigen und zweisprachigen katalanischen Sprechern der kastilischen Sprache gebraucht, und auch im Kastilischen der Zuwanderer aus den einsprachigen spanischen Regionen im Süden der Halbinsel und dem Kastilischen ihrer zumeist zweisprachigen Nachfahren lassen sie sich finden. Dies ist um so bedeutsamer, als die Zuwanderer und ihre Nachkommen in der Gegenwart mehr als die Hälfte der Bevölkerung Kataloniens ausmachen. Die politischen, ideologischen und historischen Bedingungen verhinderten oder erschwerten lange Zeit das Studium der katalanischen Varietäten des Kastilischen. Die Dokumentation und Beschreibung der modernen spanischen Varietäten gilt bereits als stark vernachlässigter Bereich (Brumme 1994). Dies trifft im Falle der in den zweisprachigen Gebieten Spaniens gesprochenen Varietäten noch viel mehr zu. Während früher die Existenz einer eigenen katalanischen Varietät aus politischen Gründen geleugnet wurde, so haftet ihrem Studium in der Gegenwart das Vorurteil an, einer Diskriminierung des Katalanischen durch das Spanische Vorschub zu leisten. Das Kastilische Kataloniens ist bisher nicht beschrieben worden, ohne es zugleich mit der kodifizierten Norm in Relation zu setzen. Entsprechend werden die Besonderheiten dieser Varietät meist als Fehler, Interferenzen, Barbarismen usw. klassifiziert, die meist direkt auf katalanischen Einfluß zurückgeführt und als Anzeichen fehlender Bildung oder geringer Sprachkompetenz gewertet werden. Darüber hinaus gibt es praktisch keine Arbeiten auf der Grundlage realer Sprachdaten, da allgemein zugängliche schrift- und oralsprachliche Korpora des katalanischen Kastilisch in informatisierter und etikettierter Form fehlen.

In der vorliegenden Arbeit wird das Kastilische Kataloniens aus variations- und varietätenlinguistischer Perspektive und anhand eines Korpus auf der Grundlage von gut siebzig Stunden Sprachaufnahmen in Barcelona und Madrid kontrastiv untersucht. Beim Studium des Kastilischen der katalanischsprachigen Regionen wird schnell deutlich, daß die meistens der in der Vergangenheit beschriebenen Phänomene nur sehr oberflächlich und nicht empirisch untersucht wurden. Die Existenz einer langen Reihe von immer wieder erwähnten und gelegentlich mit Beispielen dokumentierten Besonderheiten im Spanischen von Personen aller Schichten und in formellen wie auch informellen Kontexten zeigt deutlich, daß es sich nicht zwangsläufig Elemente handelt, die fehlender Bildung zuzuschreiben sind. Zweifellos erlaubt nur eine empirische Studie genauere Informationen über die entsprechenden Elemente und ihren Status im katalanischen Kastilisch. Die Situation und die Beschaffenheit des katalanischen Kastilisch beruhen auf einer Vielzahl von Faktoren, die im Rahmen der Untersuchungen des katalanischen Kastilisch teilweise bislang kaum berücksichtigt wurden oder deren Bedeutung nicht erkannt worden ist. Als Faktoren der Herausbildung regionaler sprachlicher Normen sind dabei insbesondere die Frequenz bestimmter sprachlicher Phänomene sowie die Haltung der katalanischen Sprecher gegenüber dem Kastilischen im allgemeinen und den katalanischen Besonderheiten im besonderen zu nennen. Die Situation des katalanischen Kastilisch hängt in hohem Maße mit der Einstellung der Sprecher zu dieser Sprache und ihrem Wissen über diese Varietät zusammen. Die kontrastive Analyse von Gebrauchsfrequenzen ermöglicht die Bestimmung von sprachlichen Entwicklungstendenzen, erlaubt es aber nicht, bestimmte Phänomene in einer angenommenen regionalen Norm zu situieren, da hohe Frequenz nicht zwangsläufig mit einer Integration in Gebrauchsnormen gleichzusetzen ist. Erst eine sorgfältige Analyse der Akzeptabilität der entsprechenden Phänomene kann die für eine Bestimmung ihrer Position in der Gebrauchsnorm notwendigen Informationen liefern.

Ziele

Zentrales Anliegen dieser Arbeit ist die Analyse der Frequenz und der Akzeptabilität ausgewählter lexikalischer, morphologischer, syntaktischer und pragmatischer Aspekte des katalanischen Kastilischen zur Bestimmung ihrer möglichen Zugehörigkeit zu regionalen Gebrauchsnormen. Der Vergleich der Frequenz- und Akzeptabilitätswerte im katalanischen Kastilisch und in anderen Varietäten dieser Sprache dient dem Nachweis von Unterschieden zwischen den verschiedenen Varietäten und ermöglicht somit zugleich den Nachweis der Existenz regionaler Normen des katalanischen Kastilisch. Zu diesem Zweck wurden zwei Interviewserien mit jeweils zwanzig Interviews in Barcelona (Katalonien) und Madrid (Kastilien) zur Akzeptabilität der offenbar abweichenden Elemente des katalanischen Kastilisch geführt. Auf der Grundlage der Interviews wurden zusätzlich vergleichende Frequenzanalysen vorgenommen. Die Ergebnisse der kontrastiven Analysen wurden anschließend mit der Darstellung der untersuchten Items in Wörterbüchern, Grammatiken, Dialektologiehandbüchern usw. verglichen. Dabei war neben der Berücksichtigung der Items an sich v. a. von Interesse, inwiefern die Darstellung in diesen Veröffentlichungen die Haltung der Sprecher den untersuchten Phänomenen gegenüber beeinflußt haben könnte. Wenngleich die vorliegende Studie das Kastilische Kataloniens zum Thema hat, werden die Erkenntnisse zum Kastilischen der anderen katalanischsprachigen Regionen Spaniens (Balearen, Valencia, Aragonien) im Rahmen des Verallgemeinerbaren berücksichtigt.

Hypothesen

Die Studie beruht auf den folgenden grundlegenden Hypothesen:

1) Das Kastilische von Katalonien ist durch eine Reihe von sprachlichen Besonderheiten charakterisiert, wobei sich die Sprecher selbst nicht zwangsläufig ihrer bewußt sind.

2) Abgesehen von eindeutigen katalanischen Interferenzen, die nicht zwangsläufig auf die gesamte Bevölkerung Kataloniens verallgemeinert werden können, existieren Elemente, die von der Mehrheit der Sprecher ungeachtet ihres Bildungsstands und ihrer kulturellen, geographischen, sprachlichen usw. Zugehörigkeit verwendet werden und von Generation zu Generation weitergegeben werden.

3) Es existiert ein "minimaler Kern", d.h. ein Minimum von sprachlichen Besonderheiten, die von der Mehrheit der Katalanen ungeachtet ihrer Herkunft, der normalerweise gesprochenen oder bevorzugten Sprache, des beruflichen Umfeldes usw. verwendet bzw. akzeptiert werden und Bestandteil der Regionalnorm (oder mehrerer regionaler Normen) sind.

4) Zwar sind nicht alle Phänomene in der Sprache aller Sprecher nachzuweisen, jedoch ist mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit zu rechnen, daß die von einer Person mit überdurchschnittlichem kulturellen Niveau gebrauchten sprachlichen Phänomene zu einer angenommenen regionalen Gebrauchsnorm zu zählen sind.

Entsprechend orientiert sich die vorliegende Studie an den folgenden zentralen Fragen:

a) Welches sind die distinktiven Erscheinungen des katalanischen Kastilisch?

b) Was wissen die Katalanen über das in Katalonien gesprochene Kastilisch, und welche Auswirkungen hat dieses Wissen auf ihre Haltung gegenüber den Besonderheiten dieser Varietät und das katalanische Kastilische selbst?

c) Inwiefern ist es gerechtfertigt, von der Existenz regionaler katalanischer Gebrauchsnormen des Kastilischen auszugehen?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde eine Herangehensweise gewählt, die verschiedene methodologische Ansätze vereint und den Erfahrungen aus anderen linguistischen, psycholinguistischen und didaktischen Arbeiten Rechnung trägt.

Studie

Die Arbeit ist in sieben Kapitel strukturiert. Nach der Darlegung der Zielstellung und Hypothesen und der verschiedenen Arbeitsschritte in der Einführung wird im ersten Kapitel ein Forschungsüberblick gegeben, wobei besonders auf die historischen Voraussetzungen der Sprachkontaktsituation in Katalonien eingegangen wird. Mit der Formulierung der Desiderata wird das Anliegen der vorliegenden Studie thematisch und methodologisch eingebettet. Im zweiten Kapitel werden die theoretischen und terminologischen Grundlagen der Studie entwickelt und gegenüber anderen Arbeiten, v. a. aus dem Bereich der Variationslinguistik, klar abgegrenzt. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Bestimmung der Schlüsselbegriffe für die eigenen Analysen.

Im dritten Kapitel wird die Beschaffenheit der katalanischen Kommunikationsgemeinschaft dargestellt; die Schlußfolgerungen dieser Darstellung zusammen mit einem Vergleich verschiedener Modelle sprachkontaktbedingter Variation erlauben die Entwicklung eines eigenen Modells der Konstituierung der katalanischen Varietät des Kastilischen. Anders als die Mehrzahl von Beschreibungsversuchen, die von zwei Polen ausgehen, zwischen denen sich eine bestimmte, in mehrsprachigen Gebieten gesprochene Varietät bewegt, basiert unser Modell auf dem erwähnten "minimalen Kern" von Besonderheiten, die von der Mehrzahl der Sprecher unabhängig von ihrer Herkunft akzeptiert werden und Bestandteil der Regionalnorm (oder mehrerer regionaler Normen) sind. Um diesen 'minimalen Kern' bereits tradierter sprachlicher Besonderheiten liegen mehrere Schichten von sprachlichen Elementen, die sich generalisieren und somit zur Norm werden könnten bzw. die eindeutig als individuelle Abweichungen von der Norm, Interferenzen etc. klassifizierbar sind. Da Mehrsprachigkeit ein Prozeß und somit instabil ist, ist auch das Modell dynamisch, d.h. die Schichten sind permeabel und erlauben den Übergang eines Elementes von einer Schicht in die nächste. Entscheidend sind dafür die bereits erwähnten (sprachlichen und nichtsprachlichen) Faktoren, die auf die Kommunikationsgemeinschaft einwirken.

Auf der Grundlage dieses Modells werden im vierten Kapitel die wesentlichen methodologischen Gesichtspunkte dargelegt, insbesondere die Auswahlkriterien der zu analysierenden Phänomene sowie der Informanten und der verschiedenen Testverfahren, die in den Interviews zur Anwendung kommen. Dabei werden auch die Ergebnisse der Vorstudien ausführlich beschrieben. Die beiden Informantengruppen in Madrid und Barcelona mußten in den Interviews von einer Dauer zwischen einer und zwei Stunden verschiedene Tests absolvieren. Im ersten Teil des Interviews wurden die Informanten gebeten, anhand von 46 Beispielsätzen Wertungen im Hinblick auf formale Akzeptabilität (d.h. formale Richtigkeit im Hinblick auf Norm) und intuitive Akzeptabilität (Gefallen, Konnotationen, persönliche Meinung) vorzunehmen. Im zweiten Teil wurden die Informanten nach ihrer Meinung zu einer Reihe von Belangen gefragt. Zusätzlich wurden im Verlauf des Interviews mehrere Tests durchgeführt, die einerseits weitere Informationen liefern und andererseits den hohen Formalitätsgrad auch im Verlaufe des Interviews kontinuierlich sicherstellen sollten: Assoziationstests, Gruppierung von Wörtern, Definitionen, Konjugationstests usw. Es handelt sich also bei den Interviews um eine Kommunikationssituation, die bei den Informanten stärker kontrolliertes, stärker elaboriertes sprachliches Handeln hervorruft als in einer Kommunikationssituation, die durch spontanen und informellen Gebrauch der Sprache geprägt ist und in der die Nähesprache dominiert. Für die Tests wurden Elemente verwendet, die möglicherweise der regionalen Gebrauchsnorm zugehören oder die unserer Meinung nach fälschlicherweise als Katalanismen bezeichnet werden. Madrid und Barcelona waren gewählt worden, weil sie die größten Städte und zugleich die wichtigsten kulturellen Zentren Spaniens sind. Barcelona ist als zweitgrößte Stadt und Medienzentrum nicht nur in besonderem Maße richtungsweisend für die Entwicklung der katalanischen Sprache, sondern auch für das Kastilische; beide Städte, in denen der Großteil der spanischen Medien produziert wird, sind bedeutend für die sprachliche Entwicklung des gesamten kastilischsprachigen Raumes. Für die Erstellung eines für Barcelona oder gar für Katalonien repräsentativen Korpus wären angesichts der sehr heterogenen Kommunikationsgemeinschaft eine so hohe Anzahl von Variablen und Kategorien zu berücksichtigen, daß die Anzahl der zu interviewenden Informanten bei weitem die Möglichkeiten eines einzelnen Feldforschers überschreiten würde. Wie wir schon angemerkt haben, werden die sprachlichen Besonderheiten des katalanischen Spanisch gerne den weniger gebildeten Personen zugeschrieben. Um nun das Vorurteil zu entkräften, die Besonderheiten des katalanischen Spanisch seien notwendigerweise auf ein geringes kulturelles Niveau und einfach fehlende Sprachkompetenz zurückzuführen, wurden für die Erstellung des Korpus nur Personen ausgewählt, die eine überdurchschnittliche Bildung und Ausbildung vorweisen können und die einen in besonderer Weise mit dem Gebrauch der kastilischen Sprache zusammenhängenden Beruf ausüben. Es handelt sich also um Informanten, die ein besonders stark ausgeprägtes sprachliches Bewußtsein haben dürften. Zudem sind es Personen, die angesichts ihrer beruflichen Tätigkeit als Multiplikatoren individueller sprachlicher Gewohnheiten gelten können. Da im sprachlichen Bereich tätige Personen zudem auch zum Gebrauch der Standardsprache bzw. dessen, was sie dafür halten, tendieren, kann davon ausgegangen werden, daß die von den Informanten gesprochene Sprache stärker an dem orientiert ist, was sie für den Standard halten, als dies beim Bevölkerungsschnitt der Fall wäre. Das vierte Kapitel schließt mit einem Überblick über die technischen Daten und die Transkriptionskriterien.

Das fünfte und sechste Kapitel sind den Ergebnissen der empirischen Studie gewidmet. Im fünften Kapitel werden die Ergebnisse der Akzeptabilitätstest, der Frequenzanalysen und der zusätzlich durchgeführten Tests detailliert vorgestellt. Die quantitativen und qualitativen Analysen der ausgewählten Items ­ sechs morphologische, zwanzig syntaktische, 55 lexikalische und drei deiktische Phänomene ­ verweisen deutlich auf die Existenz des angenommenen 'minimalen Kerns' sprachlicher Besonderheiten, die von der Mehrheit unserer Informanten verwendet bzw. akzeptiert werden und somit Bestandteil der regionalen Gebrauchsnormen sein dürften, deren Existenz somit deutlich untermauert wird. Dieser 'minimale Kern' umfaßt die meisten der untersuchten Phänomene, wenngleich nicht alle dieser Erscheinungen ausschließlich im katalanischen Kastilisch existieren. Der Kern beinhaltet vor allem:

1) Elemente, die in den Varietäten der nicht katalanischsprachigen Gebiete nicht existieren, was aber nicht zwangsläufig die Möglichkeit ausschließt, daß sie von Sprechern der anderer Varietäten verstanden werden;

2) Elemente mit anderen Bedeutungen als in anderen Varietäten; dies kann zu Mißverständnissen führen, da die Sprecher sich dieser Unterschiede meist nicht bewußt sind;

3) Elemente, die mit einer anderen Frequenz, mit anderen Konnotationen oder in anderen Registern verwendet werden als in anderen Varietäten; auch hierdurch kann es zu Mißverständnissen kommen.

Die Unterscheidung in Kenntnis, formale und intuitive Akzeptabilität sowie die Berücksichtigung der Tatsache, daß manche Informanten ein Item kommentieren, bevor sie danach gefragt werden, ermöglichen eine sehr differenzierte Analyse der sprachlichen Bewertungen. Die Gesamtheit der Informationen erlaubt es darüber hinaus, eine Hierarchie der Elemente nach Verständnis bzw. Kenntnis, formaler und intuitiver Akzeptabilität, Frequenz usw. ermitteln und jedes Phänomen auf einem bestimmten Punkt im Kontinuum zwischen den Polen bekannt/unbekannt (bzw. verständlich/unverständlich), formal akzeptabel/formal inakzeptabel, häufig/nicht häufig usw. anzusiedeln. Diese Niveaus sind durch die Unterschiede auf denotativer, konnotativer und pragmatischer Ebene, die sich aus den Kommentaren der Informanten ablesen lassen, zu ergänzen. Die Unterscheidung in formale und intuitive Akzeptabilität hat sich für unser Vorhaben als besonders günstig erwiesen, da sie in vielen Fällen beispielsweise die Ermittlung von Registerunterschieden oder Differenzen zwischen mündlichem oder schriftlichem Gebrauch ermöglicht. Insbesondere die Angaben zur intuitiven Akzeptabilität sind wichtige Indikatoren für die Ablehnung durch die Sprecher aufgrund der Identifizierung bestimmter Phänomene als vermeintliche Katalanismen. Die Kombination der einzelnen Bereiche ergibt schließlich ein sehr aussagekräftiges Bild der analysierten Erscheinungen und erlaubt ihre Lokalisierung im Kontinuum zwischen individueller Interferenz bzw. Normabweichung und Zugehörigkeit zur regionalen Gebrauchsnorm. Zudem ist in vielen Fällen nur durch die differenzierte Betrachtung der verschiedenen Bewertungsebenen und der qualitativen und quantitativen Informationen eine Isolierung der Unterschiede zwischen den beiden Gruppen in Barcelona und Madrid möglich, d.h. erst die Gesamtschau der einzelnen Ebenen macht beispielsweise mögliche Register- oder Bedeutungsunterschiede sichtbar, die in anderen Studien, in denen lediglich der Bekanntheitsgrad oder die Akzeptabilität gemessen wurde, unbemerkt geblieben sind. So ist beispielsweise bei identischen Ergebnissen auf der Ebene von Kenntnis und Akzeptabilität im Falle des Adjektivs natural ein signifikanter Unterschied auf der Bedeutungsebene festzustellen (natürlich, im Falle des Kastilischen der Madrilenen, ungekühlt im katalanischen Kastilisch), und im Falle der Konstruktion llevar prisa (es eilig haben) besteht der einzige signifikante Unterschied zwischen den beiden Informantengruppen in der Klassifizierung als 'umgangssprachlich' durch die Madrilenen. Aus eben diesem Grund konnten schließlich auch einige der laut Lehrmeinung 'typischen' Charakteristika des katalanischen Kastilisch als tatsächlich allgemeinkastilische Phänomene aus dem Kreis der Besonderheiten des katalanischen Kastilisch ausgeschlossen werden.

Im sechsten Kapitel findet sich dann eine ausführliche Behandlung der metalinguistischen Aspekte der Interviews. Die Akzeptabilitätsurteile und der tatsächliche Sprachgebrauch sind zweifellos in besonderem Maße durch das metasprachliche Wissen der Informanten beeinflußt. So konnte das Vorliegen eines regen Diskurses über die Konsequenzen des Sprachkontakts für die beiden beteiligten Sprachen sowie die Existenz verschiedener Erklärungsmodelle der sprachlichen Situation Kataloniens nachgewiesen werden. Die katalanischen Sprecher sind daran gewöhnt, über die Beschaffenheit des Kastilischen Kataloniens und über die Interferenzproblematik nachzudenken. Entsprechend lassen sich allgemein verbreitete Tendenzen des Sprachgebrauchs und mitunter klar strukturierte Sichtweisen über die sprachliche Situation in Katalonien feststellen. In besonderem Maße ist dabei die Existenz sehr klar formulierter Auffassungen von der Beziehung zwischen Häufigkeit, Akzeptabilität und Normativität sprachlicher Erscheinungen hervorzuheben. Die überaus kritische Haltung der Katalanen gegenüber ihrem eigenen Kastilisch ist offenbar eng mit ihren eigenen Kommunikationserfahrungen verbunden. Einerseits reflektiert ihre Haltung das erlernte Sprachwissen, insbesondere den schulischen und universitären Unterricht und die in der Kommunikationsgemeinschaft vorherrschenden Meinungen und Gebrauchsnormen. Andererseits spiegelt sie den kritischen Diskurs über sprachliche und soziolinguistische Fragestellungen in der spanischen Gesellschaft wider; vor allem ist dabei die Haltung der spanischen Gesellschaft dem Kastilischen der Katalanen gegenüber zu nennen. Hervorhebenswert ist die unnatürliche Beziehung der katalanischen Sprecher zu ihrem eigenen Kastilisch, die sich in einer ausgeprägten sprachlichen Unsicherheit, fortwährenden Hyperkorrektionen und einer von uns als sprachliche Paranoia bezeichneten Tendenz äußert.

Ein bedeutsamer Aspekt ist die Berücksichtigung der distinktiven Elemente des katalanischen Kastilisch in deskriptiven und präskriptiven Wörterbüchern, Grammatiken, Stilhandbüchern usw. Ihre Zurückweisung durch die Sprecher ist oftmals mit der Tatsache in Zusammenhang zu bringen, daß sie keinen Eingang in die Norm gefunden haben. Dieser Umstand wiegt um so mehr, als sich die katalanischen Sprecher in besonderem Maße an der Norm und den Wörterbüchern, insbesondere dem der Real Academia Española de la Lengua, orientieren. Die Mehrzahl der katalanischen Informanten unterscheidet genauestens zwischen individuellen Interferenzen und typischen Elementen des katalanischen Kastilisch, wenngleich ihre Urteile nicht immer zutreffend sind. Wohl aus diesem Grund sind die katalanischen Informanten nicht mit dem Bild des katalanischen Kastilischen einverstanden, welches außerhalb Kataloniens, in den Medien usw. gezeichnet wird. Häufig fühlen sich die Katalanen ob ihres Kastilischen zurückgestoßen und sind der Auffassung, daß das katalanische Kastilisch und damit auch sie selbst nicht dieselbe Behandlung erfahren wie andere kastilische Varietäten und ihre Sprecher. Dieser Umstand wirkt sich direkt in einer gewissen Ablehnung nichtkatalanischer Varietäten des Kastilischen, insbesondere der madrilenischen Varietät, aus; dennoch versuchen die Katalanen fortlaufend, ihr eigenes Kastilisch zu korrigieren oder generell zu verbessern. Andererseits konnte in den Interviews in Madrid eine stereotype, deutlich ablehnende Haltung gegenüber dem katalanischen Kastilisch festgestellt werden, die vielfach direkt auf fehlendes Wissen über die sprachliche Realität oder auf eher politisch denn sprachlich motivierte Ansichten zurückzuführen sind.

Die katalanischen Sprecher des Kastilischen befinden sich in einer äußerst schwierigen Position, auf halbem Weg zwischen dem Wunsch, sich an der Norm zu orientieren und ein gutes Kastilisch, welches unzweifelhaft Teil ihrer Identität ausmacht, zu sprechen, und der Überzeugung, daß sie eine eigene, anders geartete sprachliche Identität besitzen. Dies spiegelt sich zwangsläufig in einem schwachen Selbstbewußtsein als Sprecher des Kastilischen wider. Darüber hinaus ist es neben eher politischen Erklärungsmöglichkeiten ein sicherer Grund für das weitgehende Fehlen eines eigenen Namens für das in Katalonien gesprochenen Kastilisch. Dennoch ist ein ­ wenn auch schwaches - sprachliches Sprachbewußtsein zu konstatieren, welches von der von sprachlicher Inferiorität geprägten Haltung als Ergebnis der sprachlichen Diskriminierung der Katalanen während der Diktatur bereits deutlich abweicht. Es scheint sich bei den Katalanen, wenn auch noch zaghaft, die Auffassung zu festigen, daß das Eigene nicht nur aufgrund seiner Andersartigkeit auch schlechter sein muß. Auch das Image der Zuwanderer aus anderen Regionen Spaniens hat sich geändert, was entschieden mit der sprachlichen Integration der zweiten und dritten Zuwandergeneration zusammenhängt. Die jungen, meist völlig zweisprachigen Katalanen schämen sich nicht länger ihrer nichtkatalanischen Herkunft, sondern sehen sie als kulturelle Bereicherung, die durchaus ein Grund für Stolz und zudem identitätsstiftend sein kann. Dies erklärt auch die positivere Haltung gegenüber dem katalanischen Kastilisch und insbesondere gegenüber den distinktiven Erscheinungen dieser Varietät in den jüngeren Generationen. Entsprechend verwundert es nicht, daß viele unserer katalanischen Informanten ihren Unmut über den Umgang mit den Besonderheiten des katalanischen Kastilischen in Wörterbüchern, Grammatiken usw. äußern. Auch erklärt dies eine offenbar zunehmende Distanzierung des in Katalonien gesprochenen Kastilisch vom Standard.

Die Katalanen sprechen sich für eine Berücksichtigung der Besonderheiten des katalanischen Kastilischen in der präskriptiven Norm und dementsprechend in Wörterbüchern, Grammatiken usw. Dabei ist unbedingt hervorzuheben, daß diese Tendenz nicht dem Wunsch entspringt, die eigene 'Fehlerquote' im Kastilischen zu reduzieren, sondern der Überzeugung oder der Intuition, daß ihr Kastilisch nicht weniger korrekt ist als das anderer Kastilischsprecher, welche die Regionalismen ihrer Heimatregionen verwenden. Die Berücksichtigung der entsprechenden Erscheinungen in Wörterbüchern, Grammatiken, Stilhandbüchern usw. könnte zweifellos zu einem freieren, selbstbewußteren und sicher auch authentischeren Gebrauch des Kastilischen durch die katalanischen Kastilischsprecher beitragen.

Im siebten Kapitel werden die Schlußfolgerungen der vorgestellten Studie resümierend dargelegt und die Bedeutung der Studie für die Hispanistik einerseits und die Variationslinguistik andererseits bestimmt. Die Ergebnisse der vorgelegten Studie sollten nicht nur bei der Erstellung oder Überarbeitung von Wörterbüchern und Grammatiken berücksichtigt werden, sondern auch in der Ausbildung von Lehrkräften und in Schulbüchern für den Unterricht in Katalonien. Es ist wünschenswert, daß Lehrer und Dozenten, die in Katalonien unterrichten, mit den katalanischen Varietäten des Kastilischen vertraut sind, da ihnen dieses Wissen erlauben könnte, die Bedeutung der sprachlichen Richtigkeit im Hinblick auf die präskriptive Norm mit den in der Kommunikationsgemeinschaft der Schüler offensichtlich dominierenden Gebrauchsnormen in Bezug zu setzen. Die katalanische Varietät des Kastilischen, so wie auch die Varietäten des Kastilischen anderer zweisprachiger Regionen, können nicht übergangen werden: Es ist Aufgabe der hispanistischen Linguistik, dem katalanischen Kastilisch die Bedeutung beizumessen, die ihr im Hinblick auf ihre Stellung unter den anderen kastilischen Varietäten zukommt. So ist beispielsweise die Reduktion der katalanischen Varietät als habla lateral oder habla de tránsito (Zamora 1960: 265-278 [Zamora Vicente, Alonso (1960): Dialectología española. Madrid: Gredos.]) angesichts der Kontinuität der beschriebenen Erscheinungen im katalanischen Kastilisch nicht gerechtfertigt. Mit dem Nachweis, daß das katalanische Kastilisch nicht 'weniger kastilisch' ist als das in anderen Regionen gesprochene Kastilisch, lassen sich möglicherweise jene Stimmen dämpfen, die die Zweisprachigkeit an sich kritisieren, vor einer Verdrängung des Kastilischen durch das Katalanische warnen oder den angeblich so beklagenswerten Zustand des Kastilischen in Katalonien beklagen. Die Anerkennung des katalanischen Kastilisch ist zudem wichtig, damit es den Status einer Substandardvarietät verliert. Dies ist notwendig, da die Überwindung der Unterbewertung des katalanischen Kastilisch zweifellos dazu beitragen dürfte, daß die Katalanen sich hinsichtlich ihrer Kastilischkenntnisse nicht länger den Sprechern anderer kastilischer Varietäten unterlegen fühlen. Es könnte zudem zu einer harmonischeren Beziehung zwischen Katalanischsprechern und Kastilischsprechern beitragen.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sollten in der Zukunft durch detaillierte Analysen der Phänomene, deren Status noch als ungeklärt gelten muß, sowie durch Studien informeller Rede ergänzt werden. Dabei sind die Auswahlkriterien hinsichtlich der Informanten bezüglich ihrer beruflichen Tätigkeit, Herkunft usw. zu erweitern. Langzeitstudien könnten zu einer genaueren Beschreibung und zur Isolierung möglicher generationsspezifischer Besonderheiten sowie der Entwicklung des katalanischen Kastilischen beitragen. Longitudinale Studien könnten darüber hinaus insbesondere auch dazu beitragen, die Position derjenigen Erscheinungen zu verfolgen, die zumindest bisher nicht Teil der regionalen Normen zu sein scheinen, sich aber im Integrationsprozeß befinden könnten, was ihre hohe Frequenz oder teilweise Akzeptanz seitens der Sprecher erklären könnte. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stellen weiterhin einen interessanten Ausgangspunkt für die Untersuchung der Evolution des Kastilischen im Rest der hispanophonen Welt bzw. für die Untersuchung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kastilischen an sich dar. Ein anderer vielversprechender Ansatz ist die Analyse der möglichen Beeinflussung der Sprache durch die Massenmedien.

Die Arbeit schließt mit der Bibliographie und einem Anhang mit den Materialien und Transkriptionen.

Abstract: Spanish in Catalonia. An empirical study of lexical, morphosyntactic, pragmatic, and metalinguistic aspects. This empirical study investigates the existence of a hypothetical regional standard for Spanish in Catalonia based on a corpus made up of transcripts of some 70 hours of recorded interview material. The determining factors in the development of linguistic norms are analyzed in terms of the frequency of usage and the formal and informal acceptability of some 80 linguistic phenomena. The qualitative and quantitative analyses are supplemented by a study of the metalinguistic information and the linguistic attitudes identifiable in the interviews. order this book here

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